Südamerika: Vulkane, Vulcanizacion
und chilenisches Wichswetter
Schon der Start zu unserem vierwöchigen Ski- und Roadtrip in Chile begann anders als gedacht. Kurz vor der Landung in Santiago leuchteten uns die Anden zwar noch durchs Boeing-Bullauge in perfektem Purpur-Licht entgegen, aber statt einer durchgängig schneeweißen Bedeckung der Gipfel sahen wir nur vereinzelte, zusammenhanglose Schneefelder. Wir beschlossen, erstmal dem Meer und der Wüste einen Besuch abzustatten, bevor wir zur skifahrerischen Mission ansetzen würden. Die erste Woche des Trips nahm ihren Lauf. Lagerfeuer, Grill-Exzesse, Strandübernachtungen, lange Nächte in der Millionenmetropole Santiago und ein Husky-Rennen in Patagonien.
SKIFAHREN IN DEN ANDEN UND EIN HUSKY-RENNEN IN PATAGONIEN / CHILE, SÜDAMERIKA
„Eigentlich war alles dabei, was eine exotische Reise ausmacht. Nur die Skibags im Kofferraum irritierten uns manchmal ...“
Chile / Südamerika. Draußen regnet es in Strömen und durch die knorrigen, alten Wälder um uns herum wabern dicke Nebelschwaden. Wir sitzen mitten im Nirgendwo in einem hölzernen Farmhaus im nördlichen Patagonien. Um hierher zu gelangen, mussten wir vom letzten menschlichen Außenposten – der Kleinstadt Villarrica – noch etwa 25 Kilometer mit unserem Allrad-SUV über kurvige Straßen Richtung Anden rattern und 20 Kilometer über matschige Schotterpisten holpern. Jetzt stecken wir hier und warten. Im Hauptraum des großen Hauses züngelt ein wärmendes Holzfeuer im Kamin, während von oben pausenlos dicke Tropfen auf’s Dach prasseln. Langsam bricht die Dämmerung herein. Zeitgleich damit entwickelt sich eine gespenstische Geräuschkulisse draußen im Unterholz. Zwischen all den Buchen, Zypressen und Chilezedern heulen Dutzende von Wolfsrudeln miteinander um die Wette.
Bedrohlich ist das Ganze nicht, denn die Wölfe sind Huskys. Ganze Teams und ihre Musher haben sich auf dem umliegenden Farm-Gelände versammelt. Aus Chile, aus Argentinien, Deutschland, Brasilien und anderen Ländern, in denen es ein spezielles Klientel verrückter Freaks gibt, die für ihr Schlittenhunde-Gespann jeden PS-getriebenen Luxusschlitten mit Stern oder Kühlerfigur in der Garage stehen lassen würden.
Es ist der 31. August 2013, der Tag vor dem großen Husky-Rennen auf den südlichen Gletscherfeldern des 2.840 Meter hohen Villarrica-Vulkans. Organisator ist unser Gastgeber Konrad Jakob. Den sympathischen 42-jährigen deutschen Auswanderer und ehemaligen Transall-Piloten hat es 2006 ins hinterste Patagonien verschlagen, um seinen Traum zu leben: Eine Husky-Farm mit fast 60 Hunden und der Möglichkeit privat oder mit Gästen in den wilden Weiten der Anden und Vulkane unvergleichliche Slet-Dog-Touren zu unternehmen.
„Well, this has been a weak snow year, with high isotherms and precipitation deficits running 25 to 40 percent in central and south Chile”, hatte uns unser Kontaktmannn in Santiago bereits vor Reiseantritt gewarnt.
Ein Tag Ski, dann Husky
Jetzt, im Vorfeld des Rennens, kommt Konrad nochmal so richtig auf den Hund und auf Touren. „Das Rennen ist nur was für Hard-heads!“. Dass er damit das Gegenteil von Weichei meint, wird uns klar, als er die Spielregeln beschreibt: „Das Villarrica-Vulcano-Race ist eine extrem gebirgige Angelegenheit – ungefähr so wie eine Königsetappe bei der Tour de France.15 Schlitten mit jeweils 10 Hunden gehen an den Start. Insgesamt ist eine Strecke von 140 Kilometern mit fast 5.000 Höhenmetern zu absolvieren. 48 Stunden sind die Gespanne in etwa unterwegs. Fahr- und Ruhezeiten müssen sich die Fahrer selbst einteilen. Campiert wird im Freien auf dem Gletscher. Fürs Schlafen bleibt eigentlich keine Zeit, denn während der Pausen müssen die Musher ihre Hunde mit Futter versorgen und unentwegt Schnee in ihren Kochern schmelzen, damit die durstigen Husky-Kehlen nicht dehydrieren.“
Beim Gedanken an diese Belastungen bekommen wir allein vom Zuhören trockene Kehlen und greifen schnell zur nächsten Flasche Cabernet Sauvignon aus dem Maipu-Tal. „Arriba, abajo, al centro y dentro!“, lautet der passende spanische Trinkspruch. Und ein spezielles deutsches „Prost!“ können wir auch noch hinterherschieben. Mit einem weiteren deutschen Rennteilnehmer, der hier am riesigen Eichentisch sitzt: Martin Herbst, Kölner, 66 Jahre, fit, vollbärtig, alterslos. Deutsche Krankenkassen würden ihn bei ihrer Beitragskalkulation wohl eher als gefährlichen statt als rüstigen Rentner einstufen. Martin hat 53 Länder bereist und so viele Stempel in seinem Reisepass wie andere Leute Punkte auf ihrer Payback-Card. „Von Borneo bis Sansibar, von Kanada bis Fitschi, ich war eben immer viel unterwegs“, bemerkt er trocken. Abenteuergeschichten hat der Mann so einige auf Lager. Ob mit Mauleseln durch den hohen Atlas, Trekking auf den Mount Kenya oder Besuche bei den Eingeborenen in Borneo – trotzdem, so richtig angetan haben es ihm die Huskys. „Mushing ist wie Meditation“, schwärmt er mit blitzenden Augen. Dabei ist Martin alles andere als ein ruhiger Typ. Als ehemaliger Starfighterpilot und Hobby-Motorradrennfahrer ist er immer gern schnell und mit viel Adrenalin unterwegs. „Dutzende Hunderudel kurz vor dem Rennstart, das ist Action und Adrenalin pur. Es herrscht ein so infernalischer Lärm und es liegt ein Vibrieren in der Luft, das erinnert mich an ein Geschwader von 16 Jets, die mit ihren aufheulenden Düsentriebwerken zu einem Massenstart ansetzen.“
Tja, der Start der WhiteHearts-Crew in Chile begann anders als gedacht. Zum einen wurde unser Trio dezimiert, weil Akki dem schnöden, abhängig beschäftigtem Gelderwerb nachgehen muss und Kilian und mich schon mal vorfliegen ließ, bevor er uns dann in der zweiten Reisehälfte Richtung Südamerika nachjettet. Die Vorhut war also nur ein Duo. Zudem ist vom Winter hier in der anderen Hemisphäre weit und breit nichts zu sehen. „Well, this has been a weak snow year, with high isotherms and precipitation deficits running 25 to 40 percent in central and south Chile”, hatte uns unser Kontaktmannn in den Skigebieten rund um Santiago ja bereits vor Reiseantritt gewarnt.
„Leihwagen mit platten Reifen und ohne Versicherungspolice“
Aber in einem facettenreichen Land wie Chile, das über 4.000 Kilometer lang ist und Vegetationszonen von der Atacama-Wüste bis zum Inland-Eis aufweist, sollte es uns nicht schwerfallen eine erzwungene Powder-Pause einzulegen und während der Wartezeit auf Winter andere attraktive Ziele anzusteuern. Was dazu noch fehlte, war ein vierrädriger Begleiter. Den hatten wir über etliche Umwege und Tücken des Internets bereits von Deutschland aus gebucht. Aber auf dem Parkplatz des zutiefst mysteriösen Vermieters namens „Alamo“ direkt vor dem Flughafen Santiago wartete nur ein kleiner Suzuki Vitara statt des versprochenen Oberklasse-Allrad-Fahrzeugs a la Nissan Pathfinder oder Volkswagen Amarok auf uns. Trotz unserer rudimentären Spanisch-Kenntnisse ließen wir uns nicht auf diesen Milchmädchen-Deal ein. Wir belagerten den Schalter der schrammeligen Autovermietung so lange, bis der Mensch hinter dem Tresen einlenkte: „Okay, I organize, that there is a special car coming especially for you from our main office in Santiago City.“