Usbekistan: Partys und Powder im
MI-8-Transporthubschrauber
Zusammen mit einem Völker-Mischmasch aus über 300 russisch, islamisch, asiatisch und turkmenisch anmutenden Gesichtern sitzen wir im gewaltigen Bauch einer betagten Iljuschin II-96 und donnern nach einer Zwischenlandung in Moskau mit 870 Stundenkilometern und dem Schub von vier Triebwerken Richtung Zentralasien ins Tien-Shan-Gebirge. Zielflughafen ist Taschkent, die Hauptstadt der ehemaligen und 1991 unabhängig gewordenen sowjetischen Teilrepublik Usbekistan.
„Keine Spinnerei: Skifahren an der Seidenstraße“
Fast so viele Dienstjahre wie deren seit 1991 amtierender und mitnichten demokratisch gewählter Präsidial-Diktator hat unser Sowjet-Großraumjet auf dem Buckel. Man sieht es ihm an. Mal springen die Gepäckfächer wie von Geisterhand auf, mal wabert weißer Nebel aus der Klimaanlage, ständig ertönen irgendwelche Signallaute und die Rücklehnfunktion an unseren Sitzen ist selbstverständlich defekt. Sechs dieser fliegenden Mutterschiffe sind bei der russischen Aeroflot im Einsatz. Jene ist zwar Stammkunde für alle Iljuschin-Typen, weigert sich aber seit Jahren standhaft, weitere sechs bestellte dieser Oldtimer-96er abzunehmen. Trotzdem, es gibt keinen Grund für Iljuschin-Bashing oder Aeroflot-Spott. Das dicke Ding fliegt stabil wie ein Albatros und hat einen Innenraum wie der Kuppelsaal der Wiener Philharmoniker. Zudem belastete das schön simple Internet-Buchungssystem der Aeroflot unser Kreditkarten-Konto für den Hin- und Rückflug von Düsseldorf nach Taschkent inklusive extrem übergewichtigem Skigepäck gerade mal mit schlappen 450 Euro.
„Die wahre Schönheit steckt immer im Inneren“, orakelt Akki vielsagend. Schnell wird mir klar, was er damit meint. So eine Iljuschin mag zwar klapprig sein und mit ihrem abgeranzten Plaste-und-Elaste-Interieur, den rissigen Sitzen und der nikotinfarbenen Innenbeleuchtung höchstens den technologischen Charme der 80er ausströmen, aber umso charmanter ist die Riege der Damen in dunkelblauen Uniformem, die in kurzen Röckchen, mit kessen Käppis, perfektem Make-up und einem gebleachten Zahnpasta-Lächeln zwischen den drei Sitzreihen der üppig gefüllten Sowjetmaschine umherschwirren. Die emsigen Bienen sind Stewardessen wie aus dem Katalog. Gertenschlank, mit makellosen Zügen, Haaren bis zum Hintern und Fahrgestellen, die an die spinnenbeinige russische Mondlandefähre LUNA-9 erinnern. Meine Gedanken kreisen zwischen Blitzhochzeit im Küchenmodul, Knutschen auf dem Klo-Trakt oder der Spontangründung einer Ost-Model-Agentur hier oben über den Wolken.
„Ewig lockt das Slawen-Weib“
Von einem Luftloch und einem feuchten Gefühl an meinen Oberschenkeln werde ich unsanft aus meinen Träumen gerissen. Der auf dem Ausklapptablett vor mir stehende O-Saft hat sich durch die turbulente Erschütterung auf meiner Jeans ergossen. Aber die blonde Svetlana steht schon eilfertig in ihrem eleganten Kostümchen vor mir und legt Hand an. „Vorsicht, nur tupfen, nicht reiben!“, denke ich. Sie lächelt. Ich versuche von ihrem doppelt konzentrierten Duty-Free-Chanel-No.5 nicht ohnmächtig zu werden und denke mir: „Ewig lockt das Slawen-Weib“. Langsam kann ich nachvollziehen, warum die vielen kleinen adipösen Liebesritter aus dem deutschen Unterschichtenfernsehen den Weg in den weiten Osten suchen, um ihre ganz persönliche Svetlana, Ksenia, Olga oder Katinka aus der Taiga oder den Betonbunker-Schluchten Moskaus in ihre deutsche Doppelhaushälfte oder das Hartz-IV-Wohnzimmer zu entführen.
Aber nicht mit uns! Wir drei West-Touris schaffen es tatsächlich den russischen Saftschubsen-Schönheiten konsequent zu widerstehen und lassen uns die Flocken lieber für den Powder aus der Tasche ziehen. Schließlich sind wir nach langer Planung fast am Ziel unserer Ski-Träume – dem gewaltigen, einsamen und über 4.000 Meter hohen usbekischen Teil des Tien-Shan-Gebirges. Zur unseligen Ankunftszeit um 02.30 Uhr in der Nacht landet die alte Tante Iljuschin mit den jungen Miles-and-More-Mannequins und uns mittelalten Freeride-Weltenbummlern dann endlich in Taschkent, der Hauptstadt Usbekistans.
Natürlich blicken wir den schönen Flugbegleiterinnen beim Abstieg von der Gangway aufs Rollfeld noch mal sehnsüchtig hinterher, aber unsere Gedanken sind jetzt allein auf die unglaublich lange Schlange am Zollschalter, die an Checkpoint-Charly erinnernden Einreiseformalitäten und die dahinter wartenden, tief verschneiten Gebirgszüge fokussiert, deren Hänge mit Sicherheit weitaus jungfräulicher sind als die aeroflotten Beautys bei ihrem Dienstantritt.
Mein Visum wird vom Zollbeamten in olivgrüner Uniform skeptisch akzeptiert, aber die in zweifacher Ausfertigung ausgefüllte Einfuhrerklärung versieht er mit allerlei Kritzeleien und Streichungen und macht mir im usbekischen Dalli-Dalli-Tonfall klar, dass ich das Ganze direkt noch mal neu ausfüllen kann. Die Verzögerung lässt sich verschmerzen, denn das Wichtigste rollt gerade vom Gepäckband – unsere Skibags und die Reisetaschen. Also nichts wie raus aus dem nächtlichen Gewusel des „Toshkent Xalqaro Aeroporti“. Umringt von Menschen im Wiedersehenstaumel, die alle braune Mäntel und die traditionelle russische Fellmütze „Schapka“ tragen, empfängt uns unser Reisebegleiter und Russland-Experte Mathias Andrä an der letzten Drahtzaun-Schleuse des Ostalgie-Flughafens. Hundemüde steigen wir in einen dort wartenden ISUZU-Kleinbus und wollen nach der langen Reise nur noch ins Hotel und in die Horizontale. Aber sechs Schweizer Mitreisende unserer Truppe hatten weniger Glück. Ihre Ski- und Board-Bags sind bei der Zwischenlandung am Moskauer Flughafen Scheremetjewo hängengeblieben. Gleich ganz hängengeblieben ist der US-Amerikaner Brent. Sein Flug von Idaho endete wegen Schneechaos schon am JFK-Airport in New York.
In einem mehrstöckigen Innenstadt-Hotel schlafen wir genüsslich unser Jet-Lag aus und gönnen uns am Mittag eine Stadtrundfahrt durch die fast drei Millionen Einwohner zählende Metropole, in der aufgrund von sowjetischen Umsiedlungsmaßnahmen ein wilder Völker-Mix von über 60 Nationalitäten miteinander verquirlt wurde. Mittlerweile zeichnet sich auch ein möglicher Anflug von US-Boarder Brent sowie des eidgenössischen Equipments ab. Nicht vor dem Morgengrauen des darauffolgenden Tages allerdings.
Die Sonne, die vom blauen asiatischen Himmel blitzt, die ungewöhnlich tiefen Temperaturen, die Schneefälle der vergangenen Tage und nicht zuletzt die sehnsüchtigen Blicke, die wir Richtung Berge werfen, führen wohl dazu, dass wir nicht länger in der Hauptstadt abhängen müssen, sondern als Vorhut ins Tien-Shan-Gebirge entsandt werden.