Kirgistan: Der Schnee der Seidenstraße, ein XXL-Helikopter und der beste Pilot des Universums
Wir fahren immer in Richtung Süden und sind fasziniert von der Weite der Landschaft. Die Sonne strahlt von einem azurblauen Himmel und kalter Dunst wabert langsam über eine verschneite Steppe, auf der vereinzelte Pferde- und Rinderherden auf der Suche nach kargem Futter umherstreifen. Zu allen Seiten ragen imposante Bergketten auf. Der Allgemeinbegriff für die vielen Gebirgszüge lautet bei den Kirgisen „Ala-Too“, was so viel heißt wie „Berge, die ewig mit Schnee bedeckt sind“. Kein Wunder, rund 70 Prozent der Landesfläche liegen auf einer Höhe von über 3.000 Metern, so dass die meisten Berge auch im Sommer eine ewige Schneekrone tragen.
HELI-SKIING IN KIRGISTAN IM ZENTRALASIATISCHEN TIAN-SHAN-GEBIRGE
„Ein Hauch von Marco Polo“
Die breite, mit Schlaglöchern übersäte Straße ohne Fahrstreifen, auf der wir in einem klapprigen Kleinbus aus Kirgistans Hauptstadt Bischkek herausrollen, heißt Seidenstraße. Hier verlief tatsächlich mal die ehemalige Karawanen-Route. An diesem eiskalten aber klaren Wintertag handeln die Menschen am Straßenrand anstatt mit Seide, Gewürzen und Kamelen allerdings mit Kohle. Auf den Ladeflächen vieler zerbeulter Uralt-Transporter liegen keine in Form gepressten Briketts, wie wir sie kennen, sondern unbehauene Brocken in Felsgröße, direkt aus dem Flöz gestemmt, zum selber zerhacken. Ungewohnt ist auch der Blick in die anderen Autos. Mal sitzt der Fahrer links, mal rechts. Dem kirgisischen TÜV – sollte er existieren – ist das egal. Fahrzeuge mit Rechtslenker sind altersschwache Importe aus Japan oder Korea, die um ein Drittel billiger zu haben sind. Auch unser Kleinbusfahrer ist Gebrauchtwagen-Experte. Er kennt Deutschland sogar, reckt den Daumen hoch und präsentiert uns stolz seine Deutschkenntnisse, die aus „Autobahn“, „Volkswagen“ und „Manuel Neuer“ bestehen. Er hat schon einige Male Gebrauchte von Deutschland nach Kirgistan gefahren. Tagelang. Durch Polen, die Ukraine, Russland und Kasachstan. 5.500 Kilometer hat so ein überführtes Fahrzeug, das bei uns zumeist auf dem Schrottplatz gelandet wäre, dann nochmals mehr auf dem ohnehin schon strapazierten Tacho.
Wirtschaftlich ist Kirgistan ein armes Land. Die Hälfte der Menschen lebt unter der Armutsgrenze. Landwirtschaft ist wegen der großen Temperaturschwankungen mühsam. Aber in Kirgistan gilt ohnehin: Proteine statt Kohlenhydrate. Die nomadisch geprägte Bevölkerung liebt Fleisch, egal ob Schaf, Rind oder Pferd. Nicht nur deshalb ist die Viehzucht so verbreitet. Der Reichtum der Kirgisen liegt in der Anzahl der Pferde und des Viehs, das sie besitzen. Ein ausgewachsener Hottemax kostet umgerechnet etwa 1.000 Dollar und ist ein ähnliches Statussymbol wie bei uns eine S-Klasse aus Sindelfingen. Die Haupteinnahmen des Landes kommen aus dem Export von Wasser, Elektrizität, Gold, Wolle und Walnüssen. Tourismus gilt als hoffnungsträchtige Zukunftsbranche und genau deshalb hat Kirgistan seit 2012 als einziges zentralasiatisches Land die Visumspflicht abgeschafft.
„90 Prozent der Landesfläche Kirgistans liegen über 1.500 Meter, 70 Prozent sogar über 3.000 Meter. Insgesamt erstreckt sich das Tian-Shan-Gebirge 2.000 Kilometer von West nach Ost und 600 Kilometer von Nord nach Süd. Dazu zählen der heilige Berg Khan Tengri mit 7.010 Metern und der höchste nördliche Siebentausender der Erde – der Pik Pobeda mit 7.439 Metern.“
Zugegeben, diese Reiseerleichterung war nicht der Grund, der uns nach Kirgistan gelockt hat. Uns ging es um das exotische Erlebnis mit einer 15-köpfigen Crew aus Freeride-Freunden mit einem russischen Helikopter-Ungetüm im riesigen, weitaus unbekannten Terrain des Tian Shan unterwegs zu sein und unberührten, kontinental trockenen Powder unter die Planken zu nehmen. Aber bevor wir zu unseren Ski-Absichten und den Hüttenunterkünften unterhalb des 3.180 Meter hohen Too-Ashu-Passes aufbrachen, hatten wir eine Woche lang Gelegenheit uns von der Skurrilität der Hauptstadt und der atemberaubend rauhen Schönheit des restlichen Landes zu überzeugen.
Wir tauchten ein in den Bazar-Trubel Bischkeks, wo man vom exotischen Gemüse über chinesischen Schnupftabak bis hin zum frisch abgetrennten Schafskopf nahezu alles kaufen kann. Dort entdeckten wir auch eine exquisite Gewürzpaste namens Lhasa aus scharfem Paprika, Knoblauch und Öl und erfuhren, dass das sogenannte Fettschwanzschaf sehr beliebt ist bei den Kirgisen. Es hat einen großen Schwanz und viel Fett. Eine fettige Grundlage half uns auch, die von Wodka-Exzessen geprägten Partynächte in Bischkek zu überstehen, denn die Bar- und Clubszene dort ist wirklich unglaublich schräg und crazy. Letztlich schafften wir es zum Glück, uns aus der Dunstglocke der Metropole loszureißen. Danach lichtete sich auch der Schleier in unseren Schädeln. Glasklare Luft, die gibt es in Kirgistan schließlich überall gratis, dazu noch Nomaden, die ihre Viehherden auf den dürren Hochebenen weiden lassen, Steinadler, die für ein kleines Trinkgeld auf Touristen-Armen Platz nehmen, Jurten-Camps, die irgendwo im Nirgendwo vergorene Stutenmilch und ein Schlafplätzchen offerieren und natürlich den allnächtlichen Anblick eines von der Zivilisation unbeschadet leuchtenden Sternenhimmels.
Wäre es nicht so kalt gewesen hätten wir sogar Strandurlaub machen können. Am Issyk-Kul. Der ist zwölf Mal so groß wie der Bodensee und nach dem Titicacasee der zweitgrößte Gebirgssee der Welt. Der 1.700 Meter hoch gelegene Riesen-Swimming-Pool der Kirgisen hat 118 Zuflüsse, aber keinen Abfluss. Trotz Lufttemperaturen von bis zu minus 20 Grad Celsius im Winter friert er nie zu. Noch skurriler als dieses Binnenmeer in den Bergen wirkten die traditionellen Wettkämpfe der Nomaden auf uns. In der Königsdisziplin treten zwei Mannschaften mit jeweils fünf Reitern gegeneinander an, die auf kleinen Steppenpferden einem Ziegenkadaver hinterherjagen, dem zuvor der Kopf abgetrennt wurde. Dieses etwa 40 Kilogramm schwere Spielgerät muss jeweils in eines von zwei Toren befördert werden, die aussehen, wie die Ummauerung eines Brunnens. Das beinharte Mannschaftsspiel, gegen das die Holzfäller-Games in Kanada wirken wie ein Kindergeburtstag, ist in Kirgistan noch beliebter als Fußball.
Nicht ganz so hart wie dieser Männersport waren die Matrazen bei einem Stopover in einem Jurten-Camp in den verschneiten Bergen im Osten Kirgistans. Dort trafen wir auf vier Schweden, die eine harte Landung hinter sich hatten. Sie wollten eigentlich mit einem Militärhubschrauber ins Backcountry von Karakol abheben. Aber das Vergnügen währte nur einen halben Tag – dem Brummer fiel während des Fluges eine seiner zwei Turbinen aus, er musste notlanden und war danach flugunfähig wie eine gestutzte Taube.
By continuing to use the site, you agree to the use of cookies. more information
Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.